18. und 19. September 2017 - Der Flug in die neue Welt Heimat
Diese beiden Tage waren nicht nur die längsten unseres Lebens (6 Stunden mehr wegen Zeitunterschied), sondern auch die bewegtesten. Wir schließen über 50 Jahre Leben in Deutschland ab und beginnen ein völlig neues mit einer völlig ungewissen Zukunft. Die Aufgabe, die die meißten Menschen durch Tod und Wiedergeburt erledigen haben wir einfach in ein einziges Leben gepackt. Natürlich sind wir nicht die einzigen, aber doch nicht ganz alltäglich.
Wir schreiben diesen Beitrag am 19.09.2018, also genau am Jahrestag unserer Ankunft.
Die letzten Stunden im Haus
Der 18.09.2017 begann für uns erwartungsgemäß hektisch. Ganze sechs Umzugskartons standen noch offen und nicht ganz fertig gepackt im ehemaligen Clubraum unseres ehemaligen Hauses. Die Koffer waren noch offen und unsere Katze Blacky ging schon seit Tagen nur noch selten aus ihnen heraus - sie wußte offensichtlich genau was hier vorgeht und wollte mit. Auf den Tischen lagen noch viele Dinge verstreut, die wir eigentlich mitnehmen wollten, aber als aus den geplanten 10-12 Umzugskartons nun 27 geworden waren, haben wir die Notbremse gezogen. Später haben wir viele Dinge vermißt, aber es ging einfach nicht. Unsere Beruhigung war, daß wir sie ja alle Verkauft hatten, auch wenn wir uns sicher waren, daß sie wohl später auf dem Müll gelandet sind. Gegen Mittag fahre ich nocheinmal nach Wittenburg und gebe die Pakete bei Hermes auf. Wir essen noch etwas und dann beginnt eine hektische und chaotische Übergabe, der letzten von uns bis zum Schluß genutzten Räume, ein ebenso hektischer Abschied und ein gar nicht schöner Blick zurück. Alle von uns geliebten Pflanzen, die uns jahrelang vor den neugierigen Blicken und dem Lärm der Straße geschützt hatten, waren nur noch Stümpfe. Carmen hat dieses Bild bis heute nicht aus dem Kopf bekommen, ich habe es offenbar verdrängt, denn ich sehe alles noch so, wie wir es gern hatten. Aus dem Anblick hätte ich wohl nichts mehr lernen können.
Die Fahrt zum Flughafen
Nils, der jüngere Sohn von Carmen bringt uns nach Hamburg. Wir fahren ein letztes Mal die Straße nach Wittenburg, die wir sooft mit Fahrrad und Auto gefahren sind. Wir fahren auf die A24, die ich früher lange Zeit fast täglich fahren mußte und dann kurz hinter Zarrentin der Schock - ich habe zwar das Laptop eingepackt, aber wo sind die USB-Sticks? Beide hingen an meinem Laptop, da es das letzte war, was noch angeschlossen war. Darauf ist alles, was wir in den letzten Tagen noch schnell eingescannt haben und alle möglichen Informationen, die wir noch nicht weiter verarbeitet hatten. Wir steuern die Raststätte Gudow an und zum Glück ist der Käufer unseres Hauses so nett und bringt uns die Sticks - es wäre sonst sehr knapp geworden. Auf der Fahrt fällt uns ein, daß wir genau zur selben Zeit vor genau 10 Jahren ebenfalls auf der Fahrt nach Hamburg waren. Damals lag meine Mutter im Sterben, heute stirbt unser Leben in Deutschland. Die weitere Fahrt verläuft zum Glück gut und flott, so daß wir rechtzeitig am Flughafen sind. Nils leistet sich für uns auch den sündhaft teuren Kurzparker Platz für ganze 7,-€ pro Stunde. Es geht jetzt alles Schlag auf Schlag. Wir können sofort unser Gepäck einchecken und bekommen von der British Airways sogar gleich die Bordkarten für alle drei Flüge. Nun heißt es Abschied nehmen. Wir können noch eine ganze Weile zusammen sitzen, dann müssen wir los. Mir fällt es deutlich leichter, denn ich habe keine Verwandten mehr und wenn man nicht mehr so, wie erwartet tickt, dann sortieren sich auch die Freunde in so genannte und echte und es bleiben wenige oder gar keine übrig. Carmen hat noch Familie. Neben zwei erwachsenen Söhnen auch noch Vater und Mutter. Die Eltern verstehen unsere Entscheidung nicht und billigen sie daher natürlich auch nicht, was die Trennung nicht einfacher macht. Auch für die Söhne ist es schwer, aber sie kommen uns ja mal besuchen.
Ab nach Heathrow
Bevor man in die Luft gehen darf, beginnt nun der Hürdenlauf durch die sog. Sicherheitskontrolle. Wenn man weiß, was da eigentlich kontrolliert wird, sieht man dies mit ganz anderen Augen. Ich durfte meine Stiefel ausziehen und mir wurde der Hosenbund abgetastet - für das dicke Päckchen vor dem Bauch interessierte sich keiner. Klar, denn der Inhalt ist ja dank RF-ID's schon erfaßt worden. Es war unsere Reisekasse.
Nun geht es ins Flugzeug. Ich bin früher schon oft geflogen und sogar charter, aber eine so enge Bestuhlung habe ich noch nicht erlebt. Wir sind beide recht schlank, also unter dem deutschen Durchschnitt, aber Carmen hätte beinahe Platzangst bekommen und ich konnte mich auch kaum rühren.
Wir sitzen nun also eingepfercht wie die berühmten Sardinen und der Pilot meldet sich, um mitzuteilen, daß sich der Start verzögert, da etwas mit dem Gepäck nicht in Ordnung ist - mit unserem? Nein natürlich nicht. Wir hatten vorher genau gelesen, was man überhaupt und dann auch noch wie transportieren darf. Nach gut einer halben Stunde geht es in die Luft. Es ist schönes Wetter und gegen 18:00 natürlich noch hell. Wie fliegen über Altona, wo ich einen Großteil meines Lebens verbracht habe und natürlich über die Elbe. Auch nach Oldenburg können wir noch winken, dort lebte zu dieser Zeit Hendrik, der ältere Sohn von Carmen. Nun noch über die Nordsee hüpfen und Landeanflug auf London. Endlich raus aus der Sardinenbüchse. Wir müssen das Terminal wechseln - kein Problem, es ist alles perfekt ausgeschildert. Aber was ist das? Wir stehen plötzlich an einer Bushaltestelle! Die Anzeige verrät uns, daß in fünf Minuten ein Bus kommt, der uns dann nach 12minütiger (wie bitte?) Fahrt zum anderen Terminal bringt. Und tatsächlich geht es über das Vorfeld, durch Tunnels, an Lagerhallen und Hangars vorbei, zu einer weiteren Haltestelle - wir sind angekommen. Nun noch endlose Korridore entlang laufen und dann vier Stunden in einer riesigen Wartehalle sitzen. Kein Problem, die erste Stunde geht damit drauf, das kostenlose WLAN auf dem Smartfone nutzbar zu machen. Ich bin zwar EDVler, aber von Smartfones hatte ich bislang garnichts gehalten, nun wird es unser ständiger Begleiter werden. Dann endlich, wir sind online - Nachrichten an die Kinder. So vergeht die Wartezeit.
Der längste Flug unseres Lebens - nach Sao Paolo
Ganze 11 Stunden fliegen hat bislang keiner von uns gemacht, aber das steht uns nun bevor. Natürlich wieder die Sicherheitskontrollen. Wieder Stiefel ausziehen und dann Taschenkontrolle - Mann, waren die Hamburger lachs. In der Hektik hatte ich doch glatt so eine Mini-Werkzeugtasche statt in den Koffer ins Handgepäck gelegt. Der Inhalt bestand aus einer Zange, einem kleinen Seitenschneider, ein paar kleinen Nüssen und Schrauberbits. Zusätzlich hatte ich noch weitere Schrauberbits dazugelegt. Alles mußte entsorgt werden, nur eine Pinzette und die filigranen, aber sehr spitzen Feinmechaniker-Schraubendreher, die durften wir behalten. Damit hätte man gut jemanden erstechen können, aber mit den anderen Sachen das Flugzeug zerlegen? Oder vielleicht die mitgebrachten getarnten Einzelteile einer Bombe zusammenbauen? Oh Mann, wie gut, daß MacGyver heute nicht mehr fliegt. Sein Taschenmesser hätte er garantiert nicht mitnehmen dürfen. Und das Klebeband?
Nun geht es an Bord des großen LATAM-Airbusses. Vorbei an der ersten Klasse - boh eh, die haben ja fast richtige Betten da!
Aber auch unsere Plätze sind schön geräumig, hier läßt es sich 11 Stunden aushalten. Der Sitz neben uns ist frei, da haben wir noch etwas mehr Platz. Ein kleiner Bildschirm im Sitz vor uns ermöglicht das Anschauen von Filmen, die genaue Position oder den Blick durch zwei Bordkameras nach außen. Es gibt noch Abendessen und wir fragen die Stewardes, ob es ein fleischloses Gericht gibt, da wir zumindest vegetarisch leben wollen. Es gab eine Pasta. Wir versuchen immer mal wieder etwas zu schlafen, aber es ist alles so aufregend. Nach einer Stunde Flugzeit sind wir schon vor Afrika, dann geht es auf den Atlantik. Als wir noch vier Stunden vor der Landung sind, haben wir schon Brasilien erreicht. Daran kann man gut sehen, wie groß dieses Land ist. Etwa eine Stunde vor der Landung gibt es wieder Essen. Schon als die Stewardes drei Reihen vor uns ist, flüstert sie uns zu, daß sie eine Überraschung hätte. Und siehe da, wir bekommen zwei vegane Menüs, die in der ersten Klasse zwar bestellt, aber nicht gegessen wurden, zusätzlich zum normalen Frühstück, was auch ohne Wurst war. Beim Landeanflug auf Sao Paolo freuen wir uns auf die Kameras, aber nix is. Es ist Nieselregen und man sieht fast garnichts. Nach dem Aufsetzen rast er förmlich zum Stellplatz. Ich bin noch nie so schnell mit einem Flugzeug gefahren. Beim Aussteigen empfängt uns richtiges hamburger Schmuddelwetter. Es ist kalt und Nieselregen. Die Kälte ist sogar im Terminal zu spüren - oder ist es die Müdigkeit? Wir sind jedenfalls froh, daß wir unsere Winterjacken anhaben. Jeder von uns hatte sich die schwersten Stiefel, Hosen und Jacken angezogen, denn anders hätte es Geld gekostet oder wäre von unserem Freigepäck abgegangen.
Wieder Sicherheitskontrolle, aber die war so wie in Europa vor dreißig Jahren. Es geht ja auch nur ins Nachbarland. Wieder Fußmarsch und warten. Wir sind uns nicht ganz sicher, denn die Angaben an der Abfertigung sind etwas verwirrend, aber wir sind doch am richtigen Gate gelandet. Für uns ist alles sehr aufregend. Wir hören zum erten Mal, wie sich Paraguayer unterhalten, natürlich zwischen den vielen Brasilianern.
Die letzte Etappe - auf nach Asunción.
Es ist ein ganz normaler Flug, wie zwischen europäischen Städten. Na klar, was sollte daran auch anders sein. Etwas lockerer geht es zu, denn das Flugzeug ähnelt eher einem komfortablen Bus. Wir gewinnen ersteinmal Richtung Süden an Höhe, um dann die Gebirgskette, die die Wasserscheide zum La Plata Gebiet bildet, zu überwinden. Leider sehen wir davon nicht viel, denn es ist immer noch sehr diesig. Dann geht es nach Westen und nach etwa einer Stunde fliegen wir schon über Paraguay. Endlich wird es freundlicher, klar, wir kommen ja auch. Beim Landeanflug kann man aus der Luft sehr gut die neue Super-Wohnanlage in Altos sehen. Mein Gott, gibt es wirklich Menschen, die sich dort wohlfühlen? Dann immer tiefer, man kann einzelne Straßen erkennen. Wir fliegen Pettirossi von Süder her, also über Asunción, an. Und schon rollen wir. Gleich nach dem Aussteigen stehen wir vor den Schaltern von Imigraciones. Es darf immer nur einer pro Schalter durch und so heißt es warten. Wir landen natürlich beide an unterschiedlichen Schaltern und ich werde nach der Wohnadresse gefragt, Carmen hat aber die Adresse im Kopf, da sie diese auf die Kofferanhänger geschrieben hat. Aber wir sind ja in Paraguay, also renne ich herum, und will fragen, da hat die nette Dame das schon mit ihrem Kollegen klar gemacht. Wir haben unseren Stempel und dürfen uns nun drei Monate im Land aufhalten. Nun geht es zum Förderband, die Koffer abholen. Ein netter Träger spricht uns an und zwingt uns seine Hilfe nahezu auf. Wir sind müde und KO, also sagen wir ja. Vom Zoll hatten wir ja einiges gelesen. Da soll es immer wieder vorkommen, daß die harmlosesten Dinge als zollpflichtig eingestuft werden, nur um ein "Geschenk" zu erhalten. Unser Kofferträger rennt einfach an den Zöllnern vorbei, mir fällt ein Stein vom Herzen und Carmen fragt doch glatt, wann wir denn nun durch den Zoll müssen - da stehen wir aber schon in der Eingangshalle. Mir war das ganze 10,-€ wert - viel zu viel, wie wir später erfahren haben.
Nach einer kurzen Verschnaufpause suchen wir uns ein Taxi zu unserer Unterkunft.