Das letzte Jahr in Deutschland

Der Übergang von der normalen Planung zur "heißen Phase" war eher unmerklich und Carmen verstand es gar nicht, daß ich immer wieder die Tage zählte und mich fragte, wo wir denn nächstes Jahr seien. Es war noch so viel zu regeln...

Der Herbst verlief anfänglich noch recht ruhig, doch schon im Dezember stellte sich heraus, daß es immer komplizierter in Deutschland wird. Wenn die eigene Wahrheit nicht mit der der Machhaber übereinstimmt, hat man eben Probleme. Der Spruch "Geschichte wird von den Siegern geschrieben" ist halt doch richtig. Für uns kamen fast schon täglich neue Überraschungen, die uns jedoch alle darin bestätigten, daß unsere Sicht der Dinge, auch wenn sie gerade nicht "normal" ist, die richtige ist.

Gut KoerchowDie letzten Jahre haben wir in einem wirklich riesigen Haus gelebt, aber sehr alternativ. Außer zwei Öfen hatten wir keine Heizung und mußten uns im Winter auf 150m² zurückziehen, die wir auch nur sehr mühsam über 15°C erwärmen konnten. Oft standen wir morgens in unserem "Wohnbüro" und schauten uns bei 8°C und weniger schon etwas erschrocken an. Wenn es wärmer war, konnten wir uns auf 1200m² Innenraum (!!!) tummeln. Wir hatten es geschafft, diese riesige Fläche mit Dingen, die uns lieb und teuer waren, zu füllen. Für viele war es alter Plunder, aber nicht für uns. Die schier unlösbar erscheinende Aufgabe bestand nun darin, entweder alles einzeln und  ein leeres Haus zu verkaufen oder alles zusammen. Wir begannen also unsere "Schätze" zu sichten und zu ordnen, um sie dann bei den bekannten Kleinanzeigen-Portalen an den Mann zu bringen. Gleichzeitig versuchten wir auch das Haus zu verkaufen - doch wer will schon die Reste eines alten Herrenhauses, das zu DDR-Zeiten zu einem Lokal mit Tanzsaal umgebaut wurde und in den letzten Jahren von "alternativen Spinnern" bewohnt war. Die Ungewißheit zog sich bis weit in den Frühling 2017. Immer wieder gab es Hoffnung, als mal wieder jemand auf die Anzeigen hin anrief und glaubte, es sei für ihn das richtige. Bei den meisten Besichtigungen war jedoch schon nach wenigen Minuten klar, daß man den Preis kräftig drücken will oder eigentlich gar kein Intresse hat. Einer brachte es sogar vor unseren Ohren auf den Punkt als er sagte, er müsse den alten Kasten wegschieben, dann kann er ja eine neue Halle hier bauen - das tat weh. Auch ein junges Paar versuchte fast ohne Geld das Haus zu kaufen. Es gefiel ihnen offenbar wirklich, aber wir brauchten doch ein Startkapital...

Es grenzte fast schon an ein Wunder, als sich ein weiteres Paar zur Besichtigung anmeldete und es sich für Tochter und Schwiegersohn anschauten, die gerade im Urlaub waren. Ernüchtert von den vorherigen Besichtigungen hatten wir recht wenig Hoffnung. In den folgenden Wochen wurde es aber immer deutlicher, daß dies wohl die Käufer werden. Als mir dann irgendwann herausrutschte, wir müßten nun nur noch um das Wichtigste verhandeln, nämlich den Preis, kam die Antwort: "Wieso? Der steht doch in der Anzeige!" - Für uns war das wie ein Lotto-Gewinn. Wir hatten Haus mit Inhalt verkauft und mußten nun nur noch alle persönlichen Sachen heraussuchen. - NUR NOCH? Wir wissen nicht, was alles dort geblieben ist, aber die verbleibenden vier Monate reichten nicht aus. Es ist gar nicht so leicht, einen Strich unter über 50 Jahre Leben zu setzen. Es war aber für uns auch die Erkenntnis, daß wir nicht einfach nur auswandern, sondern ein völlig neues Leben beginnen.

Die letzten Monate waren geprägt von suchen, sichten und sortieren. Wir versuchten alles zu komprimieren, um möglichst wenig Material mitnehmen zu müssen, denn jeder Kubikmeter und jedes Kilogram kostet. Anfänglich wollten wir einen ganzen Container mitnehmen, das haben wir uns aber sehr schnell abgeschminkt, denn da wären wir mit rund 9.000,-€ dabei gewesen. Dank Peter Kunzmann, den wir auch später noch erneut beauftragen konnten, hatten wir die Chance auf eine Beipack-Fracht. Wir mußten nur unsere Pakete zu einer Lagerhalle in Deutschland schicken. So hieß es nun für uns alles in Kartons verpacken. Es lief so chaotisch, daß wir noch am Abflugtag die letzten sechs Kartons per Hermas verschickten. Die neuen Eigentümer waren mitlerweile am einziehen und es verging kein Tag, an dem wir nicht irgendwie abgelenkt wurden - wertvolle Zeit und Energie, die uns fehlte. Leider mußten wir auch mit ansehen, wie viele Dinge am und im Haus, die uns sehr wertvoll waren, regelrecht zerstört wurden - aber wir hatten es ja verkauft. Die Krönung war der liebevoll gepflegte Efeu, der es in Jahren geschafft hatte, das Dach zu erreichen und nun in wenigen Minuten regelrecht ermordet wurde. Wäre es keine Pflanze gewesen, hätte man von einem Blutrausch sprechen können. Aber wie schon gesagt, wir hatten das Haus verkauft und die neuen Eigentümer konnten machen, was sie wollten. Für uns war es nur sehr kräftezehrend.