Der Zaun und die Rinder des Nachbarn

Als wir das Grundstück das erste Mal besichtigten, war ein wichtiger Aspekt der vorhandene Zaun. Paraguay ist ja in vielen Dingen angeblich rückständig, aber auch hier gilt, daß derjenige, der Tiere besitzt, dafür sorgen muß, daß sie dort bleiben, wo sie sein sollen. Nun, das steht zwar geschrieben, aber wenn freilaufende Rinder sogar auf den Rutas für schwere Unfälle sorgen, wie sieht es dann erst auf den kleinen Wegen aus. Die schlimmste Zeit ist der ausgehende Winter und das beginnende Frühjahr. Man kann es sich kaum vorstellen, aber auch hier wächst das Gras einfach nicht vor Oktober. Der Paraguayer sorgt auch nicht vor - wozu auch? Als Naturvolk hat er früher von der Hand in den Mund gelebt und die “neue” christliche Lehre der Eroberer sagt ja auch, daß man sich nicht sorgen muß und der “Herr” sorgt trotzdem. Das Fazit ist, daß jeder versucht, die Tiere durch den Winter zu bringen, denn danach gibt es deutlich mehr Plata pro Kilogramm Schlachtgewicht. Man hat ja gelernt, also den besten Schlachttermin abwarten.

KuhAber wie füttert man denn nun die Tiere, wenn kein Gras wächst? Natürlich kann man alles mögliche zufüttern, von Mais bis Zuckerrohr, aber das muß natürlich vorher gepflanzt werden und die Anbaufläche geht ja für die Rinder verloren. Außerdem muß man dafür sorgen, daß sie eingezäunt wird, denn Jungpflanzen schmecken offenbar besonders gut. Die einfachste Lösung ist hier, das Tor zu öffnen und die Rinder an der Straße oder dem Weg grasen zu lassen. Die Wege sind hier alle sehr großzügig angelegt und oft 20m breit. Die “Fahrbahn” ist nur 2-3m, aber es läuft noch eine Stromleitung entlang und Ausbaureserve will man ja auch haben. Daher gibt es einen sehr breiten Grünstreifen auf beiden Seiten - ideales Futter zum Nulltarif.

Schnell mußten wir erfahren, daß Zaun nicht gleich Zaun ist und hungrige Kühe sehr einfallsreich werden können. Schon bald begrüßte uns die erste Kuh freudig mampfend und sah gar nicht ein, sich von der Stelle zu bewegen. Nun es gibt zum Glück etliche Geräusche und so konnten wir sie mit lautem “ho ho ho” und “jä jä jä”, ja sogar mit “lauf lauf” (verstehen sogar Deutsch - intelligent!) dazu bewegen, durch das Tor abzuhauen. Den Weg kannten sie ja gut, denn sie durften ja vor uns hier grasen. Für uns stellte sich nun die Frage, wo sie denn rein gekommen ist. Wir waren am suchen und schwupp, war sie sieder da - die selbe. Carmen hatte Glück und konnte sie sogar dabei beobachten, so wußten wir wenigstens, wo sie reinkam. Sie hüpfte einfach über den Zaun. Also einen Bekannten gefragt, wie hoch eine Kuh springen kann. Nun, das hängt vom Leidensdruck ab, aber bis 1,20m ist keine Seltenheit. 1,20m sind aber bei unserem Zaun eher die Seltenheit, viele Stellen sind deutlich niedriger. Außerdem lernten wir, daß Kühe auch einfach den Zaun hochheben oder sich zwischen den Drähten hindurch zwängen. So ein “normaler” Zaun besteht hier aus 4-5 gespannten Drähten, die Pfosten stehen 5-6m auseinander und dazwischen gibt es meist drei sog. “Balancin”, das sind Abstandshalter, damit die Drähte nicht auseinander gedrückt werden können. Diese Abstandshalter können die Kühe mit ihrer Kraft aber leicht seitlich verschieben. Wenn sie dann auch noch schräg stehen, wird der Zaun niedriger - doppelt-plus-ungut!

ZaunWir haben also erstmal den Zaun auf Höhe, lockere Abstandshalter und andere Schadstellen untersucht. Die gute Nachricht war, daß die Drähte überall in Ordnung waren, aber alles andere war grauenvoll. Wahrscheinlich hätte jeder andere den Zaun komplett erneuert, aber dafür fehlt nicht nur das Geld, es wäre auch eine Verschwendung. Wir begannen mit einer mühsamen Reparatur und selbstgebastelter Erhöhung. Immer wieder standen einzelne Kühe auf dem Grundstück. Es ist zwar irgendwie lustig, wenn man vom Einkauf zurück kommt und am Tor steht eine Kuh und möchte gern wieder raus zu ihren Kumpels, aber wir konnten darüber irgendwie nicht lachen.

Im späten Frühjahr hatten wir es geschafft und tatsächlich Ruhe bis zum Winter 2019. Eines Tages trauten wir unseren Augen nicht, als plötzlich wieder eine Kuh auf dem Grundstück stand - nein das sind zwei - nein, da ist ja nocheine. Drei Kühe hatten sich irgendwo einen Weg gesucht - aber wo? Wir bringen sie erstmal raus auf die Straße, gehen zu den Nachbarn, aber hier nur freundliches Grinsen und danke, daß sie wieder draußen sind. Irgendeine Reaktion fehlt komplett. Nur wenige Tage später ist bei den Nachbarn großes Geschrei, aber wir denken uns nichts dabei, denn es steht auch ein LKW vor der Tür. Plötzlich sehen wir zwei Rinder, die komischerweise immer die gleichen Bewegungen machen. Sie konnten gar nicht anders, denn sie waren mit einer Kette verbunden. Ein weiteres Tier stand an einer anderen Stelle. Wir rufen die Nachbarn - keine Reaktion. Als ich den Vater am Zaun sehe platzt mir der Kragen und ich schimpfe auf deutsch und Stotter-Spanisch, aber er scheint es zu verstehen. Er meint, der gemeinsame Zaun müsse repariert werden (natürlich von uns) und ich erkläre ihm, daß unsere Pflanzen keine Beine haben, aber seine Rindviecher schon. Er hilft die Kühe wieder nach Hause zu bringen und wir grüßen erstmal etwas sparsamer. Am Abend finden wir noch eine Schadstelle. Die zwei zusammengebundenen Tiere hatten einen kompletten Pfahl umgerissen. Als wir am nächsten Tag mit einem Ersatzpfahl und Werkzeug anrücken, trifft uns fast der Schlag. Es steht zwar kein neuer Pfahl dort, aber immerhin wurde der Schaden behoben und es war nichtmal der gemeinsame Zaun, sondern der zur Straße.

ZaunWir beginnen mit einer verstärkten Zaunkontrolle und es ist fast überall auf rund einem Kilometer der gleiche Anblick. Die Kühe stecken ihre Köpfe zwischen den Drähten hindurch, um an das bei uns noch saftige Gras zu kommen. Einige haben Hörner und bleiben manchmal am Draht hängen. Steter Tropfen höhlt den Stein und nach einiger Zeit wackelt der beste Pfosten. Auch viele Halterungen der Abstandshalter sind defekt. Wir kommen in Panik, denn eigentlich haben wir gar keine Zeit dafür, denn wir wollen ja ein Gästehaus bauen. Und vorallem, was sollen wir machen? Für die defekten Holzpfähle wollen wir uns solche aus Zement bauen, aber wieder zwei Probleme, denn Zement wollen wir nur wenig verwenden und natürlich die Zeit. Immerhin kommt uns eine gute Idee für die Zwischenräume. Wir bauen einen Maschendrahtzaun Marke Eigenbau. Wichtig ist ja erstmal, daß sie ihre Köpfe nicht mehr durchstecken können und dazu müssen die “Maschen” verkleinert werden. Wir ziehen diagonale Drähte ein, denn das hat gleich zwei Vorteile. Erstens werden die Maschen deutlich verkleinert und zweitens können die Abstandshalter nicht mehr verschoben werden. Der einzige Nachteil ist die Zeit, die dabei drauf geht.